1. Viele Christen stellen sich die Frage: Woher kommen die Textunterschiede in den heutigen Bibeln? Gab es früher nicht einen einheitlichen Bibeltext?
Aus dem Standpunkt des Glaubens muss zuallererst gesagt werden, dass Gott über sein Wort wacht. Wir haben daher folgende Zusage des Herrn:
„Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Mt. 24,35)
Demzufolge hatte der Christ zu jeder Zeit der christlichen Geschichte ein zuverlässiges Wort Gottes als Grundlage für seinen Glauben. Wir dürfen uns also auf die Verheißung des Herrn verlassen, dass Sein Wort auch für uns zugänglich bleibt, und dass der Herr es vor Seinen Feinden bewahren wird:
„Die Worte des Herrn sind reine Worte, in irdenem Tiegel geschmolzenes Silber, siebenmal geläutert. 8. Du, o Herr, wirst sie bewahren, sie behüten vor diesem Geschlecht ewiglich!“ (Ps.12,7;8)
Es hat aber jede Zeit ihren Zeitgeist und somit ihre besondere Prüfung für den Gläubigen. Das Charakteristische unserer Zeit ist nicht mehr etwa ein Verbot, Bibeln zu besitzen oder zu verteilen, sondern ein Verwässern des Bibelwortes und ein Verwirren durch das vielfältige Angebot, getarnt in christlicher Hülle. Darum gibt es auch so viele Bibelversionen. Die größte Verführung stellt in diesem Sachverhalt eine zu freie Übersetzung dar. Unter den gröbsten Exemplaren solcher verfälschenden Übersetzungen ist z.B. die gotteslästerliche „Volxbibel“ oder die tendenziös im Sinne der Zeugen Jehovas verdrehte „Neue-Welt-Bibel“, dem folgen solche, die vom Zeitgeist stark beeinflusst sind, wie z.B. „Hoffnung für alle“, „Gute Nachricht“, „Neues Leben“ u.a. Eine weitere Verführung ist die Veränderung des Bibelwortes durch die im 19. Jahrhundert aufkommende „wissenschaftliche Textkritik“, deren verderblicher Einfluss auf das biblische Wort sich allerdings mehr in Grenzen hält. Diese hatte den traditionellen, allgemein geltenden Text an zahlreichen Stellen angefochten und ihm kritische Versionen, die Streichungen und Veränderungen im Vergleich zum genannten Text enthielten, gegenübergestellt. Die Veränderungen trafen zwar weder die Kernbotschaft noch die Hauptaussagen der Schrift, dennoch wurde das inspirierte Wort Gottes hierdurch an vielen Stellen in seiner Zeugniskraft und Glaubwürdigkeit angegriffen. Tabelle zum Vergleich TR-NA
2. Der geschichtliche Hintergrund
Die Christenheit hatte in der Tat vor dem 19. Jahrhundert einen einheitlichen Bibeltext. Dies ist auf folgenden Hintergrund zurückzuführen: Da die apostolischen Urschriften des NT in Griechisch verfasst wurden, uns jedoch nicht mehr zugänglich sind, bedürfen die heutigen Bibelübersetzungen in die verschiedenen Sprachen einer griechischen Grundtextvorlage (Grundtext). Aus diesem Grund wurde kurz vor Beginn der Reformation in den Jahren 1516 - 1535 ein einheitlicher griechischer Grundtext von dem Gelehrten Erasmus von Rotterdam herausgegeben. Er wurde aus den damals geläufigen griechisch-bysantinischen Handschriften abgefasst. Mit einzelnen geringfügigen Verbesserungen wurde dieser Grundtext von Robert Estienne (lat. Stephanus) (1503-1559), dann von Theodor Beza (1519-1605) und schließlich von den Brüdern Abraham und Bonaventura Elzevir (z.B. die Ausgaben 1624 und 1633) weitergepflegt und herausgebracht. Das ist der Textus Receptus (TR), in etwa übersetzt: „der allgemein anerkannte, allgemein gültige Text“. Für die einheitliche Grundlage des AT wurde hierbei der überlieferte hebräisch-masoretische Text verwendet.
Seit der Reformation hatte dieser Bibelgrundtext eine Ausbreitung in nahezu alle europäischen Sprachen. Er wurde von Millionen von Gläubigen in dieser Zeit der Erweckung als der von Gott inspirierte und bewahrte Text der Heiligen Schrift angenommen. Seine alleinige Autorität war demzufolge weltweit unangefochten.
Dieser TR ist der kirchlich überlieferte Bibeltext, der sich auf die übergroße Mehrheit aus der Gesamtzahl der über 5000 aufbewahrten und heute der Textforschung zur Verfügung stehenden Handschriften (Hss) stützt. Das bedeutet, dass er auch vor der Abfassung des Erasmus und vor der Reformation die Christenheit bereits begleitet hat. So wurde seine Textform, die jedoch noch kein einheitlicher Text war, in den meisten im Umlauf befindlichen Handschriften, besonders in der Ostkirche, bezeugt. Im Westen, also im katholischen Raum, bezeugte die lateinische Textform der Bibel, die Vulgata, „die allgemein Verbreitete“, die Hieronymus im Jahre 382 herausgab, im Großen und Ganzen ebenfalls den zur Reformationszeit entstandenen TR. Allerdings wurden ihr spätere Textzusätze und gewisse Abweichungen von den griechischen Handschriften nachgewiesen. Aus diesen Umständen heraus entstand der Wunsch der Christenheit nach einem einheitlichen ursprünglichen griechischen Grundtext. Für die Erfüllung dieses Wunsches war der Griechisch-Kenner Erasmus von Rotterdam das passende Werkzeug. Der Führung Gottes verdanken wir es daher, dass den Völkern gerade vor Beginn der Reformation ein besser gesicherter Zugang zum Wort Gottes ermöglicht wurde. In der Zeit, in der der Abfall der katholischen Kirche vom lebendigen Glauben immer größer wurde und menschliche Traditionen und Überlieferungen das Wort Gottes zur Seite drängten, schuf Gott eine einheitliche Grundlage zur Rückbesinnung auf seine Wahrheit. Diese Wende spiegelt sich besonders in dem Leitsatz Martin Luthers „sola scriptura“ – „allein die Schrift“ – wieder. Aus der Sicht des Glaubens erscheint auch das zeitlich passende Ereignis der Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg im 15. Jh. als eine Fügung Gottes. Denn nun konnten die in die jeweilige Landessprache aus diesem Grundtext übersetzten Bibeln schnell und in hoher Auflage verbreitet werden. Es entstanden weltbekannte Bibeln, deren Segen in der Glaubensverkündigung gar nicht genug geschätzt werden kann:
- die King-James-Bibel im englischsprachigen Raum
- die Lutherbibel im deutschsprachigen Raum
- die Bibeln von Olivetan und Osterwald im französischsprachigen Raum
- die Reina Valera im spanischsprachigen Raum
- die Diodati Bibel im italienischsprachigen Raum
- die synodale Übersetzung im russischsprachigen Raum
- die holländische Statenvertaling
- die Zürcher Bibel
- und viele andere, deren Erwähnung hier den Rahmen sprengen würde
Letztendlich sind in der nachreformatorischen Erweckungszeit weltweit alle reformatorischen Bibeln im NT nach dem TR übersetzt worden1. Darüber hinaus fand der TR eine breite Anerkennung auch in den orthodoxen Kirchen.
Dieser einmütig im Glauben aufgenommene Bibelgrundtext erlitt die ersten großen Angriffe zuerst in der Zeit der Aufklärung im 18. Jh. Die Aufklärung war eine gottlose rationalistische Strömung, die die menschliche Vernunft über alles erhob und den biblischen Glauben infrage stellte. Ihr folgte die Bibelkritik einflussreicher Philosophen z.B. Baruch de Spinoza u. a., deren verderblicher Einfluss den Weg der allgemeinen Abkehr von Gott ebnete. Einhergehend mit dieser Entwicklung kam auch die rationalistisch-wissenschaftliche Textkritik im 19. Jh. auf.
Der Unterschied zwischen Bibelkritik und Textkritik besteht darin, dass die Bibelkritik sich breit gegen das Glaubensgut der Bibel (z.B. Offenbarungen Gottes, Wunder Jesu, Wahrheit der Berichte und Behauptungen) richtet. Die Textkritik betrachtet dagegen nur die Zuverlässigkeit der Textweitergabe vom Urtext bis zur heutigen Bibel. |
Die Anhänger der Textkritik, die menschlichen Vermutungen und Gedankenschlüssen folgten, stellten die Zuverlässigkeit der Überlieferung des TR in Zweifel und konstruierten einen eigenen Grundtext - einen dem Urtext näheren und genaueren, wie sie behaupteten. Dabei stützten sie sich auf einige wenige, sehr alte Handschriften, die im Vergleich zu der Gesamtheit der heute vorliegenden über 5000 Exemplare, eine verschwindend geringe Minderheit darstellen. Diese kleine Handschriftenfamilie, auch alexandrinische Überlieferungslinie genannt, weil vielen Hinweisen nach so gut wie alle ihre Hss aus Ägypten stammen, weicht vom reformatorischen Grundtext an zahlreichen Stellen ab. Zu ihren Hauptzeugen wird der Codex Vaticanus aus der Bibliothek des Vatikans, stammend aus dem 4. Jh., sowie einige ägyptische Handschriftenfunde im 19-20. Jh., nämlich der Codex Sinaiticus, stammend aus dem 4. Jh., und mehrere Papyri (Papyrushandschriften) aus dem 2-3. Jh. gezählt. Da diese Funde allesamt ägyptischer Herkunft sind, weisen sie naturgemäß insgesamt dieselben abweichenden Lesarten auf. Für viele Textkritiker waren sie jedoch der Beleg für die Urtextnähe dieser Überlieferungslinie, so dass sie von ihnen für die wissenschaftlich ursprünglichere Grundlage des Bibeltextes erklärt wurde. Man behauptete, dass allein das höhere Alter dieser wenigen ägyptischen Hss gegenüber der griechisch-bysantinischen Überlieferungslinie (auch Koine bzw. Mehrheitstext genannt) entscheidend sei für ihre Urtextnähe und daher auch für ihre Bevorzugung. Der mehrheitlich bezeugte bysantinische Text, der bis dahin jahrhundertelang maßgeblich den Bibeltext bestimmte, wurde somit bei der Gestaltung des neuen kritischen Grundtextes kaum in Betracht gezogen. So wurde z.B der Schluss des Markusevangeliums (Mk. 16,9-20) einzig und allein aufgrund von 3 (!) alexandrinischen Textzeugen entgegen der erdrückenden Zahl von Textzeugen des bysantinischen Mehrheitstextes aus unseren Bibeln getilgt.
Der Begriff „Mehrheitstext“ bezeichnet den bysantinischen Handschriften-Hauptstrom von mehr als 4000 Exemplaren aus der Gesamtheit der über 5000 heute erschlossenen Handschriften2. Die Hss dieses Stromes sind erstaunlich einheitlich und weichen nur geringfügig untereinander ab. |
Was aber wurde hiermit verworfen? Ein geschichtlicher Text, dem Gott selbst seinen Gütesiegel ausgestellt hat, denn er hat wie kein anderer die Christenheit während der gesamten Gnadenzeit geprägt. Zudem wurden Hinweise, dass die alexandrinische Überlieferungslinie häretisch verfälscht sein könnte und daher von den Kirchenvätern durch die gesamte christliche Geschichte nie für einen allgemeinanerkannten Bibelgrundtext in Betracht gezogen wurde, eigenartigerweise nicht erhört. Man kann diese textkritischen Vorstöße daher nur mit geistlicher Blindheit und Glaubensarmut erklären.
Diese textkritische Auffassung fand in der Theologie und in vielen Kirchen Eingang. Zu den bedeutendsten Textkritikern wird z.B. Constantin von Tischendorf 1815 – 1874 gezählt, der Finder des „Codex Sinaiticus“ und Herausgeber mehrerer kritischer NT-Ausgaben. In England waren es Tregelles 1813-1875 und vor allem Foss Westcott und Anthony Hort, auf deren neuen griechischen Grundtext die kritische Version des NT „Revised Version“ vom 1881-82 zurückgeht. Zuletzt setzte sich die textkritische Arbeit am NT des Deutschen Eberhard Nestle durch, dessen Nachfolger Erwin Nestle und Kurt Aland seine Arbeit fortsetzten. Die heutige textkritische Nestle-Aland Ausgabe (NA) bildet den bevorzugten griechischen Grundtext der Bibelgesellschaften und Theologen.
3. Die Textkritik hinterließ folgendes Bild
Im englischsprachigen Raum wurden die an Einfluss gewinnenden textkritischen Bibelausgaben von vielen bibeltreuen Christen abgelehnt. Aus diesem Grund genießt dort die dem TR folgende King-James Bibel immer noch hohe Autorität. In Deutschland verzeichnete sich jedoch ein größerer Einbruch. So folgt die Lutherbibel ab der Ausgabe im Jahre 1956 und jünger überwiegend dem NA-Text. Die Zürcher Bibel ab 1931, die revidierte Elberfelder Bibel, die Bibeln Hoffnung für alle und Gute Nachricht, die katholische Ökumenische Einheitsübersetzung, sowie die Herrmann Menge Bibel wurden allesamt fast ausschließlich nach NA übersetzt. Die alte Elberfelder Bibel enthält etwa die Hälfte der gesamten NA-Veränderungen3. Dem TR treugebliebene Bibeln stellen folgende Übersetzungen dar:
- Luther 1545 / mit kleinen Einschränkungen auch Luther 1912
- Schlachter 2000
In dieser gespaltenen Lage bleiben dem Gläubigen in Deutschland, wenn er den von Gott durch die Geschichte bewahrten und überlieferten Bibeltext lesen will, nur die Letztgenannten. Zwar belaufen sich die Unterschiede zwischen den TR- und NA-Bibeln auf nur ca. 7%, auch wird hierdurch, wie bereits erwähnt, weder die Lehre Jesu Christi noch irgendeine andere wichtige Lehre der Schrift insgesamt beschädigt, worin wir die bewahrende Hand Gottes erkennen dürfen. Jedoch hat der textkritische Einfluss eine Schwächung des Bibelwortes durch die Abänderung und besonders durch eine tendenziöse Streichung vieler Bibelstellen in folgenden Bereichen bewirkt:
- Im Zeugnis der Bibel von der Gottheit Jesu und Seiner Wesensgleichheit mit dem Vater.
- Im Zeugnis der Bibel von der Auferstehung Jesu, Seiner Himmelfahrt, sowie dem von Ihm verkündigten himmlischen Reiches Gottes.
- Beeinträchtigung der Bibelstellen gesunder und heilsamer biblischer Lehre.
- Schwächung der Zuverlässigkeit des Berichtes der Heiligen Schrift durch hineingebrachte Widersprüche.
Dies wird in der Tabelle4 TR-NA Vergleich veranschaulicht.
4. Die Beurteilung der Textveränderungen aus dem Glauben
Können wir nun diese Veränderungen im 19. Jh. als von Gott gewollt im Glauben auffassen? Wie wir es in der Tabelle sehen und vergleichen können, haben diese „Korrekturen“ weder eine zentrale Lehre der Heiligen Schrift bestärkt, noch den Sinn ihrer übrigen Aussagen geschärft. Im Gegenteil, sie untergruben eher das Zeugnis unserer Glaubensgrundlage, hinzu brachten sie Verwirrungen, Anfeindungen und Glaubensschwächung in die christlichen Kreise. Ist aber das die Absicht Gottes? Besonders in der heutigen Zeit des Abfalles, in der das christliche Glaubensgut ohnehin angegriffen ist? Wir müssen es entschlossen verneinen.
Wenn wir annehmen würden, die kritisch-wissenschaftliche Textforschung habe uns einen urtextnäheren Bibeltext gebracht, so würde es bedeuten, dass Gott über Jahrhunderte hindurch der Christenheit nur einen stümperhaften und fehlerhaften Bibeltext gegeben hätte. So müssten wir auch in Kauf nehmen, dass Gott auf dieser vermeintlich unvollkommenen Grundlage den Aufbruch der gewaltigen Erweckungen zur Reformationszeit geschehen lassen habe, um dann etwa der abgeflauten Christenheit den besseren Text zur Verfügung zu stellen. Aus der Sicht des Glaubens erscheint genau das völlig widersinnig. Doch die Textkritiker folgen ja auch nicht dem Glauben an die göttliche Bewahrung der Heiligen Schrift, sondern dem Gedanken eines menschlich-rationalistischen Vervollkommnens und Weiterentwickelns des biblischen Textes.
Dieses Gedankengut findet heute leider auch bei vielen Verkündigern und Hirten in bibeltreuen Gemeinden einen Nährboden. Woran glauben wir denn? An einen unvollkommenen, nach ständigen menschlich-wissenschaftlichen Verbesserungen bedürftigen Text, oder an das autoritativ von Gott gegebene Wort? Ich denke, hier muss unsere Antwort klar ausfallen.
Betrachtung der Argumente der Textkritiker
1. Der NA-Text stützt sich auf antike Hss aus dem 2. bis 4. Jh. Dagegen gibt es von dem TR keine Handschrift vor dem 5. Jh.
Wie schon erwähnt, ist das eines der Hauptargumente der heutigen Textkritik, woraus gefolgert wird, der NA-Text komme den Originalen am Nächsten. Dabei ist es auf die klimatischen Gegebenheiten Ägyptens zurückzuführen. In diesem extrem trockenen Wüstenklima konnten alte Handschriften sehr lange überdauern. Im griechisch-kleinasiatischen Mittelmehrraum (heute Türkei, Syrien und Griechenland), des Herkunftsortes des breiten Stromes der griechisch-bysantinischen Hss, verhinderte dagegen die Einwirkung der größeren Feuchtigkeit ihr Erhalten-bleiben5. Sie konnten also existiert haben. Das bedeutet, dass das angeführte textkritische Argument über die Nichtexistenz antiker Handschriften, die den TR stützen würden, bloß eine Vermutung darstellt und überhaupt nicht bewiesen ist. Somit ist auch die größere Nähe des NA-Textes zu den Urhandschriften im Vergleich zum TR hierdurch keinesfalls belegt.
2. Weil die den TR stützenden Hss jünger sind und dementsprechend eine längere Kette der Abschriften von den Originalen hinter sich haben, seien sie fehlerhafter und unzuverlässiger, als die Textzeugen des NA-Textes.
Daraus ergibt sich wiederum die Annahme, der NA-Text sei näher zum Urtext. Wenn man aber die Textentstehungsgeschichte betrachtet, so wurde die die Gläubigen begleitende Heilige Schrift schon immer durch Abschriften weitergegeben. Gott fügte es, dass Seine Schriften auf diese Weise fortlebten (5. Mose 17,18-19), so dass diese Art der Textweitergabe seit jeher im Volk Gottes verankert war. Wenn man sich also die Geschichte der biblischen Textentstehung aus dem Glauben heraus vor Augen führt, so ist dieses Argument ein Ausdruck des Misstrauens gegenüber dem Handeln Gottes.
Entstehung des AT
Die Pflege und Bewahrung der Heiligen Schriften ordnete Gott damals zuallererst den Priestern und dem Stamme der Leviten an. So wurde eine getreue Überlieferung des Wortes Gottes für sein Volk sichergestellt. Die Abschriften von den Originalen wurden sorgfältig aufbewahrt, bei Bedarf wurden diese aufgrund des Alterungsprozesses neu abgeschrieben und blieben so für das israelische Volk erhalten. Wir finden im AT keine Zeugnisse darüber, dass diese Art der Textüberlieferung unter dem Volk als unzuverlässig infrage gestellt wurde. Im Gegenteil, als zur Zeit des jüdischen Königs Josia, der etwa 639-609 v. Chr. regierte, das Buch des Gesetzes im Tempel gefunden wurde (2. Könige 21,8-13), nahm es der König und alle Gottestreuen mit ihm mit großer Gottesfurcht als heiliges Wort Gottes an. Ganz gewiss war auch das eine Abschrift, der man aber ohne jegliche Suche nach materiellen Beweisen aus dem Glauben heraus vertraute.
So zog sich die Überlieferungslinie des Alten Testaments seit der Gesetzgebung Mose um ca. 1500 v. Chr. bis in unsere christliche Zeit. Der vollständige Kanon des AT wurde im 1. Jh. nach Christus endgültig festgelegt. Zu Beginn der christlichen Zeit verwendete die Christenheit beim Gottesdienst zwar die Septuaginta – frühere Übersetzung aus der Zeit 250-100 v. Chr. des Alten Testamentes ins Griechische – wendete sich aber ab ca. 900 n. Chr. verstärkt dem ursprünglich überlieferten hebräisch-masoretischen AT-Text zu. Die Masoreten waren vor allem aus der babylonischen Diaspora, aber auch aus Galiläa, stammende jüdische Schreiber und Schriftgelehrte, die diesen traditionellen, seit dem 1. Jh. stabil gebliebenen Text bis ins 12 Jh. überlieferten. Obwohl das nachchristliche Judentum antichristlich gesinnt war, gebrauchte Gott es, um die Weitergabe dieses Textes in getreuen Abschriften bis zu dieser Zeit erfolgen zu lassen. Diese Textform geht auf die uralte priesterliche Überlieferungslinie zurück. Sie wurde schließlich als der von Gott bewahrte Text und Grundtext des AT der Bibel von den Reformatoren angenommen. Obwohl diese Textform, ähnlich wie der TR im NT, nur von späten Textzeugen ab dem 9. Jahrhundert bestätigt, jedoch kaum von den sehr alten antiken Handschriftenfunden gestützt wird, erwies sie sich als genau und zuverlässig. Das wird heute selbst von der wissenschaftlichen Textkritik eingeräumt.
Hier erkennen wir wiederum, dass nicht irgendwelche zufällige, archäologische Funde von Schriftfragmenten den Grundtext bestimmen können und sollen, sondern einzig und allein eine getreue Überlieferungslinie. Eine Bewahrung, die einer ständigen Suche der Forscher und Archäologen nach Schriftüberresten im Wüstensand, auf Müllhalden und anderen Orten gleicht, würde der Christenheit wenig helfen. Sie wäre auch keine Schriftenbewahrung im Sinne Gottes.
Entstehung des NT
Ähnlich verhielt es sich auch mit dem NT. Der Unterschied zum AT war lediglich, dass es keine von Gott eingesetzte Priesterkaste mehr gab, wie z.B. die levitische Abstammungslinie, der Gott den Dienst im Heiligtum und somit auch die Bewahrung der Heiligen Schriften anvertraut hätte. Diese Aufgabe übernahmen jetzt geistgesalbte und von Gott berufene Menschen. Das waren zumeist Lehrer und Hirten innerhalb der Gemeinde Jesu. Der Wegfall einer eingesetzten Priesterkaste brachte aber auch den Wegfall eines gewissen Schutzes für die Bewahrung der Schriften. So war die Gemeinde in den ersten Jahrhunderten nach Christus vielen Angriffen auf das inspirierte Wort Gottes ausgesetzt. In erster Linie mussten damals gnostische und arianische Irrströmungen, die besonders im ägyptischen Gebiet stark vertreten waren, abgewehrt werden
Der Arianismus ist eine Irrlehre aus der frühchristlichen Zeit, die die Gottheit Jesu Christi leugnete und den Sohn Gottes als Geschöpf bezeichnete. Dem zu Folge wurde im Arianismus auch die Dreieinigkeit Gottes geleugnet. |
Kurz zusammengefasst lehrt die Gnosis, dass es eine Geist-Welt gibt, in der der höchste Gott wohnt, und eine materielle/fleischliche Welt, die von einem geringeren Wesen geschaffen worden ist. Die materielle Welt ist grundsätzlich böse, die Geistliche gut und göttlich, wobei sie voneinander strikt getrennt sind. Daraus ergibt sich der unbiblische Leitsatz: Materie/Fleisch verkörpert das Böse, der Geist das Gute. Unbiblisch darum, weil die Bibel mit dem Begriff „Fleisch“ das gesamte sündige Menschenwesen samt Geist und Seele bezeichnet, und nicht bloß das äußere Fleisch. Die „falsche“ Erlösung der Gnostiker bestand darin, durch eine besondere Erkenntnis/ Erleuchtung das Materielle zu überwinden, um mit der „höchsten Gottheit“ eins zu werden. Nach gnostischem Verständnis war Jesus Christus nicht Gottes Sohn im biblischen Sinne. Gott konnte gemäß der Gnosis keinen Sohn haben, weil Er ja mit der Materie/ dem Fleisch nichts gemeinsam haben kann. So leugneten die Gnostiker die Fleischwerdung des Christus, die Jungfrauengeburt, und daher auch die Gottheit Jesu, bzw. verfälschten sie. |
Bis zur ersten Bestimmung des Kanons im Jahre 367 n. Chr. durch den Bischof Athanasius von Alexandria waren daher etliche Fälschungen des NT im Umlauf. So verfasste z. B. Marcion um ca. 140 n. Chr. ein stark verstümmeltes und gekürztes „neues Testament“. Es gab also menschlich inspirierte und verfälschte Schriften, die den Anspruch hatten, das Wort Gottes zu sein, so dass die Auswahl zur Kanonisierung der inspirierten Schriften nicht ohne Kampf und Auseinandersetzungen zustande kam. Dass bedeutet, dass in dieser Anfangszeit neben der Herausbildung der gesunden, inspirierten und von Gott bewahrten Überlieferungslinie Seines Wortes auch verfälschte Überlieferungslinien entstanden.
Wenn wir uns nun zuerst der Linie des von Gott bewahrten Wortes zuwenden, so nimmt sie ihren Lauf in den apostolisch gegründeten Gemeinden. Diese Gemeinden befanden sich vor allem in Kleinasien und Griechenland (z. B. Antiochien, Ephesus, Kolossä, Thessalonich, Philippi, Korinth) und verfügten noch durch den regen Austausch mit den Aposteln und ihren Vertrauten, (z. B. Apostel Paulus, Timotheus, Markus) über neutestamentliche Urschriften und zuverlässige Abschriften von solchen. Diese wurden getreu weitergegeben und gingen ein paar Jahrhunderte später in die Überlieferung der Heiligen Schriften der in diesen Gebieten entstandenen bysantinischen Kirche ein. So entstand der traditionelle bysantinische Text. Die Tatsache, dass dieser bysantinische Text bereits im 4. Jahrhundert der vorherrschende Text der griechischsprachigen Kirche war, was auch der überwiegende Teil der Textforschung bestätigt, beweist, dass er bei den Gläubigen großes Vertrauen genoss und somit von den apostolischen Urschriften stammen muss. Wie will man sonst erklären, dass selbst die im Westen im 4.Jh. entstandene kirchenoffizielle Vulgata weitgehend dem bysantinischen Text folgt? Wenn schon die Westkirche, wieviel mehr die Ostkirche?
Dies ist auch an den geschichtlichen Zusammenhängen erkennbar. Denn nach der Zerstreuung der Juden im 1-2 Jh. verlagerte sich das Hauptgeschehen um den christlichen Glauben in den damaligen griechischen Raum (heute Syrien, Türkei und griechisches Stammland). Demzufolge muss die von Gott bewahrte Überlieferungslinie aus der Sicht des Glaubens auch hier beginnen.
In den Jahrhunderten vor der Reformation erreichten bysantinische Handschriften schließlich Westeuropa und wurden durch die Arbeit des Erasmus von Rotterdamm zur Grundlage des erstmaligen einheitlichen griechischen Grundtextes (Textus Receptus). Da der TR aus dem Mehrheitstext entspringt, ist er laut der Textforschung ebenfalls überwiegend durch spätere Textzeugen gestützt, was ihn aber keineswegs als unzuverlässig abwertet. Denn entscheidend ist, wie schon erwähnt, allein die getreue und von Gott bewahrte Überlieferungslinie. Der TR weist diese Linie auf und kann daher im vollen Vertrauen als Gottes inspiriertes Wort angenommen werden. Seine Bewahrung vollzog sich innerhalb der Kirche trotz ihrer Abfallerscheinungen, ähnlich der Bewahrung des Masoretischen Textes trotz der antichristlichen Gesinnung im Judentum.
So halten wir nun mit dem TR den einheitlichen reformatorischen Grundtext der Bibel in den Händen, dessen Bewährung und Authentizität die Geschichte bestätigt.
Andere, abweichende Überlieferungslinien.
Daneben existieren auch andere, wenig bezeugte Überlieferungslinien. Unter ihnen ist aber für den Sachverhalt des Streits um den ursprünglichen Bibeltext nur die alexandrinische Überlieferungslinie von Bedeutung. Wie schon erwähnt, wird ihre Herkunft von der Textforschung auf Ägypten zurückgeführt. Das Alter der Hss dieser Überlieferungslinie – genannt werden vor allem der Codex Sinaiticus, Codex Vatikanus und mehrere Papyri z. B. P75, P45 – reicht bis ins 2. und 3. Jh. zurück. Sie weisen zahlreiche abweichende Lesarten gegenüber der bysantinischen Textform auf.
Wenn wir nun an die Auseinandersetzungen mit den Häretikern und ihren Fälschungen in der Anfangszeit der Entstehung des NT erinnern, so fällt in den abweichenden Lesarten dieser Überlieferungslinie der häretische Einfluss auf. Zumindest legt das tendenziöse Fehlen oder Verdunkeln der Textstellen über die Wesensgleichheit Jesu mit dem Vater eine gnostisch-arianische Beeinträchtigung dieser Textzeugen nahe. Zu den gravierendsten Beispielen solcher Textabänderungen zählt die Stelle in 1.Tim. 3,16: „Gott ist geoffenbart worden im Fleisch…“, die in das Unklare: „Er ist geoffenbart worden im Fleisch…“ umgewandelt wurde. Ebenso die Stelle in Apg. 20,28: „… zu weiden die Gemeinde Gottes, welche er durch sein eigen Blut erworben hat“, die zu der missverständlichen Aussage „… zu weiden die Gemeinde Gottes, die er sich erworben hat durch das Blut seines eigenen“ degradiert wurde. Die Tendenz ist hier deutlich erkennbar.
Dies wird auch dadurch bestätigt, dass allen geschichtlichen Hintergründen zufolge Ägypten zu den Hauptausbreitungsorten der gnostischen Sekten und Häresie in der frühchristlichen Zeit zu rechnen ist. So stammen viele Urväter und Begründer der damaligen Gnosis aus Ägypten; z.B. Valentinus, Basilides. Noch deutlicher bezeugen es ägyptische Funde der gnostisch verfälschten sogenannten NT-Schriften, wie z.B. das Thomas-Evangelium aus den Nag-Hamadi-Schriften oder das Maria-Evangelium aus dem gnostischen Codex Berolinensis. Auch der Arianismus war in Ägypten verbreitet, denn der Begründer dessen, Arius, war Bischof in Alexandrien am Anfang des 4.Jh.
Hinzu kommt, dass der christliche Glaube in Ägypten erst später, etwa 130 n.Chr., in der nachapostolischen Zeit Fuß gefasst hat. Im Gegensatz zu den Gemeinden in Kleinasien und Griechenland ist keine ägyptische Gemeinde unmittelbar von den Aposteln selbst gegründet und im Glaubensleben begleitet worden. Die Verbindung der alexandrinischen Überlieferungslinie zu den apostolischen Urschriften ist somit wesentlich fragwürdiger als die der bysantinischen. Wie können wir aus diesen Gründen der alexandrinischen Überlieferungslinie überhaupt vertrauen und sie zum Urtext erheben?
Diese alexandrinische Überlieferungslinie wurde von den führenden Kirchenvätern ab dem 4-5. Jh verworfen und geriet in Vergessenheit, so dass sie für die Textüberlieferung, abgesehen von wenigen Gebieten wie z.B. Nordafrika und einigem Einfluss auf die Vulgata, bedeutungslos blieb. Sie erlebte zu keiner Zeit eine einstimmige Annahme von der Mehrheit der Christenheit, bis sie im 19-20. Jh. von der rationalistischen Textkritik hervorgeholt wurde. Kann es sich hierbei nun um die von Gott bewahrte Überlieferungslinie handeln?
Die Textzeugen des NA- und TR-Textes im Qualitätsvergleich
Wenn wir nun noch die Textzeugen einem geistlichen Vergleich unterziehen, so stellen wir fest:
- Die bysantinischen Hss sind in sich stimmig und widerspruchsfrei. Dagegen fallen in den alexandrinischen Hss vermehrt nachlässiges Abschreiben (eigenwillige Hinzufügungen, Streichungen, Textverderbnisse) sowie innere Widersprüche auf. So lesen wir z.B. im NA-Text in Joh. 1,42, dass Petrus der Sohn des Johannes ist (…Simon, der Sohn des Johannes…), in Matth. 16,17 aber, dass er Jonas Sohn ist (…Simon, Bar Jonas). Im Gegensatz hierzu stimmt der TR-Text an allen Stellen mit sich selbst überein: Petrus ist der Sohn Jonas. In Matth. 27,34 stoßen wir auf eine weitere Ungereimtheit der alexandrinischen Textzeugen. Der NA-Text sagt hier: (…gaben sie ihm (dem Christus) mit Galle vermischten Wein zu trinken…). Nach der Prophetie aus Psalm 69,22 ist es aber Essig. Dem entspricht auch der TR-Text: (…gaben sie ihm Essig mit Galle vermischt zu trinken…).
- Die bysantinischen Hss sind unter sich nahezu übereinstimmend und einheitlich, und dass unabhängig davon, wo sie verbreitet waren – ob in Syrien, in Spanien oder in der Bysanz – und unabhängig davon, aus welchen Jh. sie stammen. Dagegen widersprechen sich die alexandrinischen Hss stark gegenseitig, wodurch ihr Zeugnis entwertet wird. So stellte der Textforscher Herman Hoskier fest, dass Sinaiticus und Vaticanus allein in den Evangelien an über 3000 Stellen voneinander abweichen6. Zudem bestätigen viele Papyri zum Teil den bysantinischen Mehrheitstext, z.B. P45, P90, und widerlegen hiermit die Behauptung der früheren Textkritiker Westcott und Hort, der Mehrheitstext komme in keiner Handschrift vor dem 5 Jh. vor und sei in den Texten der frühen Kirchenväter nicht nachweisbar. Damit ist auch der Verdacht der Glättung oder der Harmonisierung am Mehrheitstext, folglich auch am TR, an vielen Stellen aufgehoben.
- Aus der geistlichen Sicht des Glaubens bietet die bysantinische Überlieferungslinie im Vergleich zur alexandrinischen eine gesündere und klarere Lehre. So ändert z.B. der NA-Text das durch Jesus Christus Gesagte in Joh. 7,8 „ich gehe noch nicht zu diesem Fest hinauf“ ab zum „ich gehe nicht zu diesem Fest hinauf“, was die Allwissenheit des Herrn in Frage stellt, oder ihm eine Lüge unterstellt. In Gal. 4,7 macht der NA-Text aus der TR-Aussage: „…wenn aber Sohn, dann auch Erbe Gottes durch Christus“ das Sinnverschleiernde „… dann auch Erbe durch Gott“. In Mk. 2,17 lesen wir im TR: „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße“. Der NA-Text verkürzt und verfälscht dagegen die Aussage: „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder“.
Ganz im Sinne von Matth. 7,16-17: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen, oder Feigen von den Disteln? 17. Also ein jeglicher guter Baum bringet gute Früchte; aber ein fauler Baum bringet arge Früchte“, werden auch die üblen Früchte der modernen rationalistischen Textkritik durch die geistliche Prüfung entlarvt.
3. Die Textkritiker behaupten, der bysantinische Text sei nicht ursprünglich, weil er durch eine offizielle kirchliche Rezension oder Anpassungen im Laufe der Jahrhunderte zustande kam.
Nach Meinung der Textkritiker entfernte man sich ab dem 4. Jh. durch ein vorsätzliches Anpassen des Bibeltextes von der ursprünglichen Textform und schuf auf diese Weise den bysantinischen Text. So stellte Anthony Hort die These auf, dieser traditionelle Text sei durch die sogenannte „Lukianische Rezension“, eine kirchenoffizielle Anpassung des biblischen Textes im 4.Jh, entstanden. Er konnte aber keinerlei geschichtliche Belege für seine Behauptungen finden. Denn eine „Lukianische Rezension“ des NT lässt sich weder in den Kirchenväterzitaten, noch in sonstigen historischen Quellen nachweisen. Ein Ereignis solcher Größe konnte aber unmöglich in den Werken damaliger Zeit unerwähnt bleiben. Somit entbehrt diese Annahme der notwendigen Grundlage. Selbst die heutigen Textkritiker erkennen diese These bereits als ein Irrtum an, bestehen aber weiterhin auf der Theorie der Anpassungen des Textes. Jedoch sind mutwillige sinnverändernde Anpassungen des Textes aufgrund der Spaltungen innerhalb der Kirche seit den ersten Jahrhunderten genauso unwahrscheinlich. Jeder Eingriff in den Bibeltext würde ja berechtigte Kritik von der Gegenpartei hervorrufen. Auch würden wir, wie schon gesagt, in den überlieferten kirchlich-literarischen Werken Anschuldigungen für derartiges Anpassen des bysantinischen Textes vorfinden. Doch die bislang erforschten historischen Texte bieten keinen Anhalt für solche Schlussfolgerungen.
Es sind also bloße Vermutungen der modernen Textkritik, die wiederum den Unglauben an eine göttliche Bewahrung des inspirierten Textes ihrer Vorreiter entlarven. So meinen viele Textkritiker, dass die ursprünglichere Textform widersprüchlicher und finsterer sein müsse, weil der bysantinische Text viel zu „flüssig“, glatt und verständlich wirke, um näher zu den Originalen zu sein. Seine guten Eigenschaften werden vielfach mit menschlichen Hinzufügungen erklärt. Aus dieser Sicht wird behauptet, dass die ursprünglichere Textform widersprüchlicher und finsterer sein müsse. Offenbart das nicht eine Leugnung der Inspiration Gottes? Konnte Gott dem Menschen einen dunklen unverständlichen Bibeltext gegeben haben, den der Mensch anschließend durch häufiges Rezensieren zur „Klarheit“ zu bringen hätte? Nein. Es widerspricht dem gesunden Verstand des Glaubens.
Aus derselben Denkweise des Unglaubens entspringt auch die textkritische Behauptung, der orthodoxe (bysantinische) Text, der der biblischen Lehre eher entspricht, sei auch gerade deswegen weniger zuverlässig, weil seine Orthodoxie auf den menschlichen Einfluss zurückzuführen sei. Dagegen soll die alexandrinische Textform echter sein, weil sie umgekehrt eher von der biblischen Lehre abweicht. Was sagt uns wiederum der Glaube? Welche Textform ist ursprünglich und inspiriert? Solche, die mit der gesunden Lehre im Einklang steht oder solche, die ihr eher widerspricht? Der Glaube an die Inspiration des biblischen Wortes setzt eine innere Übereinstimmung mit demselben voraus.
Wenn wir jedoch von der göttlichen Inspiration und Bewahrung des traditionellen bysantinischen Textes sprechen, so kann keine mathematisch genaue 100% Überlieferung gemeint sein. Gott ließ ein gewisses menschliches Element in diese Arbeit hineinfließen, was die nicht nennenswerten geringfügigen Fehler und Unterschiede in den Lesarten erklären kann. Dies kann aber keinesfalls mit den von den Textkritikern propagierten systematischen und sinnverfälschenden Anpassungen des Mehrheitstextes gleichgesetzt werden.
Somit ist dieser traditionelle bysantinische Text aus der Zeit vom 4. bis 12. Jh. nicht das Ergebnis kirchlicher Anpassungen, sondern das getreue Erbe der ganzen Christenheit.
4. Die Textkritiker kritisieren die Person des Erasmus von Rotterdam.
Im Zuge der Kritik am TR wurde natürlich auch sein Verfasser ins schlechte Licht gerückt. Betrachten wir nun einige Vorwürfe, bzw. Einwände der Kritiker, die sich auf die Person des Erasmus von Rotterdam beziehen.
Es werden gern einige kritikwürdige Seiten seiner Glaubensauffassungen unsachgemäß
und übertrieben hervorgehoben.
Man führt solche Darstellungen ins Feld um den Wert seiner Arbeit, und somit des TR, herabzusetzen. Doch die Geschichte der Textüberlieferung zeigt, dass die Überlieferer des biblischen Textes durchaus häufig keine wirklich gläubigen Menschen waren, wie z.B. die Masoreten. Aus dieser Sicht betrachtet, haben wir mit Erasmus sogar einen gottesfürchtigen Textüberlieferer. Daher dient das ganze Gerede der Kritiker, ob nun Erasmus echt bekehrt war oder nicht, dem Ziel den Glauben an die Inspiration des TR in den Gläubigen zu schwächen.
Erasmus habe hastig und mit vielen Setz- und Schreibfehlern, die später nie korrigiert wurden, übersetzt.
Dasselbe Ziel verfolgt auch diese Behauptung. Es mag zwar bei seiner 1. Auflage so gewesen sein, doch muss er dann in den folgenden Auflagen die Fehler korrigiert haben. Wenn das nicht der Fall wäre, so hätten die nachfolgenden Herausgeber des TR Stephanus und Theodore Beza eine Menge zu berichtigen, da sie ja den Text mit anderen Hss verglichen. Sie verbesserten ihn jedoch nur an sehr wenigen Stellen7. Schließlich beweist die innere Harmonie und Genauigkeit, sowie die geschichtliche Größe des TR, dass es sich keineswegs um einen von vorn herein fehlerhaften Text gehandelt haben kann.
Erasmus habe einige Stellen im TR aus der Vulgata rückübersetzt.
Oft werfen die Kritiker des TR Erasmus vor, er habe, ohne es anzugeben, einige Stellen im TR, für die es aus den heute bekannten griechischen Hss keine oder nur wenig Bezeugung gibt, aus der Vulgata übernommen. Diese Behauptungen sind aber nicht mehr als Vermutungen. Denn wir müssen davon ausgehen, dass eine Unzahl an Handschriften außerhalb derer, die heute erschlossen sind, in der Geschichte untergegangen ist und somit der Textforschung nicht mehr zur Verfügung steht. Daher kann man nie mit Sicherheit behaupten, dass es für die oder jene TR-Lesart keine griechische Hs existiert habe, die Erasmus verwendet haben könnte. Wenn nun die Vulgata an solchen Stellen mit dem TR mitgeht, so ist es noch überhaupt kein Beleg für die Nichtursprünglichkeit dieser Stellen. Denn der Vulgata liegen ja auch überwiegend Handschriften des bysantinischen Mehrheitstextes zugrunde, worin die Gegner mit den Befürwortern des TR übereinstimmen. Nach eigenen Angaben verwendete Hieronymus, der Übersetzer der Vulgata, bei seiner Arbeit alte griechische Hss. Es gibt keinen ersichtlichen Grund seine Arbeit in Zweifel und Misstrauen zu ziehen.
Die Ursprünglichkeit der wenigen Stellen, an denen Erasmus bei der ersten Auflage des TR eine Rückübersetzung aus der Vulgata angab, z.B. einzelne Stellen in der Offenbarung, wird daher auch keinesfalls erschüttert. Zumal Erasmus den TR in den nächsten Auflagen mit weiteren Hss, sowie mit der Complutensischen Polyglotte (Im Jahre 1520 erschienenes, mehrsprachiges NT, dem ebenfalls zumeist bysantinische Hss zugrunde liegen) verglichen und an diesen geprüft hat.
Die Textkritiker behaupten, Erasmus habe textkritisch gearbeitet, darum sei auch die neuzeitliche Textkritik gerechtfertigt.
Es ist jedoch ein gewaltiger Unterschied zwischen Erasmus und der heutigen Textkritik. Denn im Gegensatz zu den neuzeitlichen Kritikern, verwarf Erasmus nicht das allgemein akzeptierte historische Erbe, vielmehr bestätigte er es, indem er den griechisch-bysantinischen Hss-Hauptstrom durch den TR vereinheitlichte.
1Rudolf Ebertshäuser, Warum wir den TR als Grundtext des NT annehmen dürfen, S.22
2Rudolf Ebertshäuser, Warum wir den TR als Grundtext des NT annehmen dürfen, S.21
3Rudolf Ebertshäuser, Warum wir den TR als Grundtext des NT annehmen dürfen, S.2
4Tabelle auf der Grundlage der Tabelle von Rudolf Ebertshäuser, 300 wichtige Veränderungen im Text des NT
5Rudolf Ebertshäuser, Warum wir den TR als Grundtext des NT annehmen dürfen
6Rudolf Ebertshäuser, Warum wir den TR als Grundtext des NT annehmen dürfen, S.38
7Martin Heide, Der einzig wahre Bibeltext? S.23